Wär es nicht so ernst, könnte es fast witzig sein! Als Liga fiebern wir natürlich der diesjährigen Bundestagswahl und damit den großen Wahlversprechen für die nächste Legislaturperiode entgegen. Wandel steht auf den Programmen und um unsere ehrbare Forderung nach einem 4-Stunden-Tag umzusetzen braucht es radikalen politischen Wandel! Der Status-Quo ist unserer Ansicht nach absoluter Käse, also galt es einen Schlachtplan zu schmieden, um in der politischen Debatte über die nächsten vier Jahre ordentlich mitzumischen.
Die gute Nachricht ist, wir können Entwarnung geben: Anhand des Stils der Partei-Schreiberlinginnen war definitiv zu erkennen, dass es sich nicht um Reporterinnen der Bild-Zeitung oder ähnlichen niederträchtigen Boulevard-Blättern handelte. Statt leicht verständlicher Vorkau-Kost fraßen wir uns eher durch hochgestochene und sinnentleerte Phrasen (unser Favorit: “Agri-FoodTech-Wagniskapitalfonds” aus dem CDU-Wahlprogramm), die ganz sicher nicht zum Verständnis der Wählerinnen beitragen. So richtig aufschlussreich war die Lektüre also nicht, aber zumindest konnten wir daraus ein Sammelsurium an Fragen formulieren, mit denen wir den Politikerinnen in ihrem Wahlkampf gehörig auf die Nerven gehen konnten. Wir sahen uns unter Zugzwang, die Debatten mit unserer Forderung anzuheizen, schließlich können wir die (zukünftigen) Mandatsträger*innen nicht unwissend lassen – es wäre zu schade um das gute Leben.
Die schlechte Nachricht ist: Keine der bisher im Bundestag vertretenen Parteien fordert den 4-Stunden-Arbeitstag. Nach unseren Recherchen wissen wir aber zumindest, welche Parteien uns in Puncto Arbeitszeitverkürzung etwas näher stehen und welche nicht.
Im Folgenden möchten wir euch die Ergebnisse unserer Bemühungen präsentieren. Dabei weisen wir dringend darauf hin, dass wir hiermit KEINE Wahlempfehlung abgeben können und möchten. Unser Ziel war und ist es, aufzuzeigen, in welcher Form unsere Forderung nach radikaler Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich – zahlen muss das Kapital! – im politischen Diskurs Gehör findet, welche Parteien und welche Kandidat*innen sich mit ihrem Potenzial auseinandersetzen (und welche sich lieber „wegducken“) und welche Hoffnungen wir für die kommende Legislaturperiode berechtigterweise haben dürfen.
Schauet und staunet!
“Arbeitszeitverkürzung ist ein richtig dickes Brett!”
Wie kann man Politiker*innen am meisten ärgern? Richtig, mit dummen Fragen! Ganz so gemein wollten wir aber nicht sein, daher haben wir ausschließlich intelligente Fragen formuliert und uns damit auf Podiumsdiskussionen im ganzen Land geschlichen. Hier unser Best of:
This Girl is on Flyer!
Wer kennt’s nicht? Biste auf ner Demo, läufst brav in Reih und Glied, rufst hin und wieder politische Parolen im Chor und denkst dir soweit nichts Böses – ZACK! – hat dir jemand einen Flyer in die Hand gedrückt. Nett lächelnd behältst du ihn natürlich, nimmst ihn vorbildlich mit nach Hause, um ihn dann in aller Ausführlichkeit zu studieren. Na klaaar! Das Erstaunliche daran ist: es gibt tatsächlich eine ganze Menge Menschen, die genau das tut. Also den Flyer lesen, den Inhalt für gut befinden und sich Gedanken über diesen machen. Allein über das Flyern auf Demos haben wir in den vergangenen Jahren deutlich unsere Bekanntheit gesteigert und sind mit weiteren Interessierten und Gruppen in Kontakt gekommen, haben Bündnisse geschlossen, uns gegenseitig supportet, gemeinsame Aktionen gestartet und und und… Was bis jetzt funktioniert hatte, sollte also auch für die Bundestagswahl gelten. Dabei war es uns wichtig, keine Wahlempfehlung abzugeben, sondern sachlich darüber zu informieren, inwieweit die Programme der etablierten Parteien das Thema Arbeitszeitverkürzung beinhalteten. Achtung, Spoiler-Alarm: das Angebot der Parteien ist ziemlich dürftig. Das Angebot an Demos hingegen war gerade in Berlin recht üppig, die fpm – Flyer per minute – dementsprechend hoch! Hier nur ein paar Impressionen der größeren Demos.
“Kann mal jemand ein Pad erstellen?”
Im Juli kamen drei Sektionen der Vier-Stunden-Liga zusammen, um einen gemeinsamen Schlachtplan für die kommenden Monate bis zur Bundestagswahl zu erstellen: Kassel, NRW und Berlin. Per Videochat wurde ausgeheckt, wie wir uns und unsere Forderung nach radikaler Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich – zahlen muss das Kapital! – mit in die politische Debatte rund um die Wahl im September einbringen können. Wir wollten sie den amtierenden bzw. angehenden Mandatsträgerinnen zu einer konkreten Stellungnahme herausfordern, wenn auch teils in provokanter Wortwahl, wie es sich eben für eine Politik von unten gehört! Los ging es mit einem Brief an die zur Wahl Stehenden, in dem wir unsere Forderung und ihre verschiedenen Perspektiven darlegten, gespickt mit ein paar unangenehmen Fragen für die zukünftigen Parlamentarierinnen. Ganz in der Tradition der ersten Achtstundenligen in den USA der 1860er Jahre.
Natürlich haben wir keine ausführlichen Antworten erwartet… eigentlich haben wir überhaupt keine Antworten erwartet! Ein paar eher traurigstimmende Resultate sind dann nach Wochen aber doch noch eingetrudelt und natürlich wollen wir euch diese nicht vorenthalten.
Die Grünen in NRW
B90 die Grünen antworten mit dem Verweis das wir die Fragen vor 10 Tagen hätten einreichen müssen. Demokratische Teilhabe hat scheinbar auch Öffnungszeiten.
Vielleicht sollten wir unseren Brief erneut senden und um Stellungnahme im Bezug zur Bundestagswahl 2025 fragen, dafür sollten wir noch fristgerecht sein…
Die FDP in NRW
Die FDP tut was Sie am besten kann. Sie schafft Arbeitsplätze.
Auf unseren Brief erhalten wir Antwort einer Geschäftsführerin, mit der Bitte unsere Fragen doch an einen Bundestagsabgeordneten zu senden.
Wir kopieren also die genannte E-Mailadresse und leiten ihre Antwort kommentarlos dorthin weiter.
Ich habe wirklich das Gefühl dass sich meine Arbeit wieder lohnt. Danke FDP!
Die Grünen in Berlin
Nun denn, noch lange nichts von einem 4-Stunden-Tag zu lesen, aber immerhin erkennen die Grünen die viel zu hohe Belastung und das dringende Bedürfnis nach einer Veränderung unserer Arbeitswelt an. Zeitsouveränität klingt auch gut, aber bitte zu unseren Gunsten. Leider ist es meist derdie Arbeitgeberin der mit Verweis auf betriebliche Belange souverän über unsere Zeit verfügt. Zeitsouveränität und Flexibilisierung sind dann stets das Einfallstor für eine Entgrenzung der Arbeit. Und Zeitsouveränität bedeutet nicht gleich Zeilwohlstand. Wir wollen mehr selbstbestimmte Zeit, statt eine vermeintliche selbstbestimmte Verteilung der gleichen Menge fremdbestimmter Zeit.
Die FDP in Berlin
Eine kurze Replik in Richtung FDP
Okay, das Gute zuerst. Die FDP sieht schon einmal, dass gesellschaftliche Veränderungen in der Arbeitspolitik berücksichtigt werden müssen. Check! Außerdem erkennen sie die klimapolitische Dimension von Arbeits(zeit)politik an. Doppel-Check! Das war es dann aber erst einmal mit der Herrlichkeit. Was antworten sie ansonsten? Die FDP vollzieht gleich zu Beginn den klassischen Move des Kapitals, die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung mit der Forderung der Flexibilisierung von Arbeit auszukontern und ins Leere laufen zu lassen. Das ist genauso, als wenn du Hunger hast und jemand reicht dir ein Getränk.
Die unschuldig daherkommende Forderung nach einer wöchentlichen statt einer täglichen Höchstarbeitszeit bedeutet nichts weniger als das Einstampfen des Achtstundentages. Die Länge und Begrenzung der Arbeitszeit wird damit ebenso flexibilisiert aka den Bedürfnissen des Kapitals angepasst. Was bedeutet das eigentlich für die Organisation der täglich anfallenden Sorgearbeit? Wird Malte-Jens-Peter dann erst am Freitag gewickelt, weil Papa da seinen Ausgleichstag hat? Hat Mama wirklich so eine riesengroße Lust darauf, die beruflichen Mails zu checken, wenn die Kinder im Bett sind und sie endlich mal Zeit für sich hätte? Was ist mit den Angehörigen, die wir pflegen? Die Sorgearbeitszeit flexibel auf die Wochen verteilen, stets als abhängige Variable der Arbeitszeit?
Folgt man der FDP, so ist die Antwort auf alle Fragen nicht 42, sondern Home-Office. Liebe FDP, bitte kommt doch mal für einen Moment aus eurer Wohlstands-Bubble raus und seid ganz stark. NICHT JEDE BESCHÄFTIGTE KANN HOME-OFFICE MACHEN! Momentan sind es gerade mal 12,5%. Es sind vor allem die Beschäftigten mit hohen Einkommen und hoher Qualifikation (Ah, jetzt verstehen wir, liebe FDP!), die Home-Office nutzen (können) und das auch nicht in allen Branchen. Knapp 50 % sagten in einer Studie des WSI, dass sich ihre Tätigkeiten gar nicht für Home-Office eigneten. Was ist z.B. mit den Kolleg*innen in systemrelevanten Berufen? Was ist mit der Kollegin in der Pflege? Wie soll die Home-Office machen? Da bekommt die Aussage „Die Arbeit mit Hause nehmen“ ne ganz andere Bedeutung. Diese Kollegin braucht eine Entlastung und eine Aufwertung ihrer Arbeit. Sie braucht eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich und kein Erörterungsrecht für Home-Office! Und die Sache mit der Finanzierbarkeit … Niemand hat uns gefragt, ob wir uns überhaupt so viele Megareiche leisten können. Wo ein Wille, da auch ein Weg. Radikale Arbeitszeitverkürzung ist vor allem eine politische Frage und keine ökonomische.
Unser Brief an die Parteien in Kassel
Die Grünen in Kassel
Die CDU in Kassel
Die Linke in Kassel
Die FDP in Kassel
Die SPD in Kassel
Zum Schluss noch ein bisschen Prosa aus den eigenen Reihen
Weil er so gut ist und weil dieser grandiose Text bislang leider viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommen hat, gibt es jetzt noch einen Schmankerl zum Absch(l)uss:
wie lange noch sollen wir effizienmaximierenden fertigsalat in uns reinstecken und die plastikboxen in den restmüll kicken wenn alle lebewesen im ozean schon längst an unserem überfluss ersticken
wie lange noch sollen wir aufhören uns gegen ausbeutung und ungerechtigkeit zu wehren um stattdessen vor sinnentleerung malträtierte wohlstandsseelen von bullshit job zu bullshit job zu zerren
wie lange noch sollen wir hohle wachstumsphrasen ertragen und nicht nach wohin und warum fragen wenn der fahrstuhl der gebetsmühlenmusik doch längst steckengeblieben ist
… ganz vorbei ist es aber doch nicht, denn “Arbeit schafft sich nur durch Arbeit ab”
Hach, schön wars! Anstrengend, immer wieder sehr frustrierend, aber doch auch irgendwie schön. Wir haben viele, viele Online-Konferenzen geführt, sind an Copy Shops und ihren Preisen für farbige Flyer verzweifelt, haben uns zahlreiche Blasen auf den Demos gelaufen und uns Wecker zu sehr unchristlichen Zeiten gestellt, um ja noch rechtzeitig die passende Frage stellen zu können. Wir haben unser Bestes gegeben und doch sind wir schlussendlich genauso schlau wie zuvor. Radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich – zahlen muss das Kapital! – ist und bleibt vorerst eine Utopie, für die wir eigenständig kämpfen müssen, denn von den Parteien ist nur wenig zu erwarten. Es liegt in unseren Händen, unsere Forderung immer wieder in der öffentlichen politischen Debatte zu platzieren, laut zu sein und uns für unsere Belange und unsere Bedürfnisse einzusetzen. Unsere Forderung muss alle Poren der Gesellschaft erreichen, denn der Kampf um sie ist ein gesamtgesellschaftlicher wie auch radikale Arbeitszeitverkürzung ein durch und durch gesamtgesellschaftliches Projekt ist, da es auf die zentralen Herrschaftsknoten unserer Gesellschaft abzielt. Politik von unten ist ein hartes Stück Arbeit – das haben wir auch im Zuge der Aktionen rund um die Bundestagswahl wieder zu spüren bekommen – aber wie heißt es so schön: „Arbeit schafft sich nur durch Arbeit ab“. In diesem Sinne kämpfen wir weiter, laut und öffentlichkeitswirksam rund um die anstehenden Koalitionsverhandlungen, aber auch darüber hinaus.
Für radikale Arbeitszeitverkürzung. Für das gute Leben. Für uns. Für alle.