Der DGB ruft unter dem Motto “Ungebrochen solidarisch” zur Kundgebung und Demonstration am 1. Mai auf. Als 4-Stunden-Liga haben wir dazu ein paar Anmerkungen.

Der DGB fordert

  • Eine gerechte und friedliche Zukunft für alle
  • Solidarität mit allen Arbeitenden und Kämpfenden
  • Einen starken Sozialstaat und eine leistungsfähige öffentliche Daseinsvorsorge
  • Bessere Arbeitsbedingungen und mehr Geld für Millionen Beschäftigte, gesichert durch Tarifverträge und eine Steigerung der Tarifbindung
  • Im Zuge der sozial-ökologischen Transformation soll konsequent in die Qualifizierung und Weiterbildung der Beschäftigten investiert werden
  • Die Wiedereinführung der Vermögenssteuer zur finanziellen Entlastung von Staat und Arbeiter*innenschaft

Eine kämpferische und solidarische Antwort auf die Krisen der Gegenwart und den Klassenkampf von oben finden wir gut, aber…

  • Was ist denn eigentlich gemeint mit Solidarität? Und wem gilt sie?
  • Wie kann eine gerechte und friedliche Zukunft für ALLE aussehen?
  • Warum geht es hier nicht um Arbeitszeitverkürzung?

Unserer Meinung nach…

In seinem Aufruf bezieht sich der DGB auf lohnabhängig Beschäftigte und hat damit vor allem die eigenen Mitglieder im Blick. Soll es aber wirklich um eine „gerechte und friedliche Zukunft für alle“ gehen, ist das zu wenig. Was ist mit all jenen, die keinen Job haben oder prekarisiert arbeiten? Tarifverträge gelten für sie nicht und im Falle der Arbeitslosigkeit sind sie von Armut und Sanktionen bedroht. Das „Bürgergeld“ bedeutet keinen konsequenten Bruch mit dem Sanktionsregime von Hartz IV, und die Anhebung der Regelsätze fällt in Anbetracht rasanter Preissteigerungen viel zu gering aus. Dass diese Reform vom DGB als Errungenschaft und Entlastung gefeiert wird, halten wir deshalb für fragwürdig.

Radikale Arbeitszeitverkürzung ermöglicht durch Personalausleich mehr Menschen den Zugang zu einer abgesicherten Beschäftigung. Aber auch wer ohne Anstellung ist, muss in Würde leben und an der Gesellschaft partizipieren können.

Grenzen der Solidarität werden im Aufruf des DGB auch deutlich, wenn Unternehmen im Gegenzug zu guten Arbeitsbedingungen und Qualifizierungsangeboten „Standortvorteile“ in Aussicht gestellt werden. Solche Standortvorteile machen nur unter der Voraussetzung der Konkurrenz zwischen Staaten und Unternehmen Sinn. Unsere Solidarität gilt nicht dem Kapital, egal wo das jeweilige Unternehmen seinen Sitz hat, sondern den Beschäftigten – unabhängig davon, wo sie leben und welchen Pass sie haben. Eine kollektive Arbeitszeitverkürzung in Deutschland darf deshalb weder zulasten von informell und prekär Beschäftigten noch von Arbeiter*innen in anderen Ländern gehen. Für unsere Ziele müssen wir international streiten, Grenzen überwinden und Solidarität praktizieren. Denn auch das Kapital agiert seiner Logik nach international.

Darunter fallen die Sorge um die*den Partner*in, um Freund*innen, den Nachwuchs, (pflegebedürftige) Angehörige, den Haushalt und vieles mehr. Bis heute sind diese Tätigkeiten ungleich unter den Geschlechtern aufgeteilt. Zudem bleiben sie aufgrund ihres nicht entlohnten Charakters ungesehen, der mit ihnen verbundene zeitliche, körperliche und emotionale Aufwand oftmals ungewürdigt. Dabei sind die Betroffenen entweder einer doppelten Belastung durch Vollzeitjob und Sorgearbeit ausgesetzt oder aber gezwungen, ihre bezahlte Arbeitszeit mit kurzfristig- wie auch langfristig finanziellen Einbußen zu reduzieren, beispielsweise durch eine geringere Rente im Alter.

Das muss sich ändern.

Um alle Formen von Arbeit – bezahlte und unbezahlte – fair aufteilen zu können, brauchen Menschen aller Geschlechter mehr Zeit. So kann radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich nicht nur für eine Entlastung derjenigen sorgen, die jetzt schon Sorgearbeit leisten. Sie eröffnet auch die Möglichkeit, Arbeit neu zu bewerten und über die faire Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zu verhandeln. Nicht zuletzt entsteht so auch mehr Zeit für feministische Kämpfe und die darin angestrebte Gleichstellung der Geschlechter.

Um effektiven Klima- und Umweltschutz leisten zu können, bedarf es einer Anpassung unserer Lebens- und auch Produktionsweise. Wir stimmen dem DGB zu, wenn er fordert, dass diese Transformationsprozesse „sozial, gerecht und demokratisch“ gestaltet werden müssen. Aus diesem Grund halten wir die Vergesellschaftung der Arbeit für einen wichtigen Schritt innerhalb dieser Transformation: wir brauchen einen bewussten Austausch darüber, welche Arbeiten wir verrichten, wie diese Arbeit geleistet wird sowie darüber, was und wie viel wir produzieren. Dazu brauchen wir zunächst vor allem eines: Zeit.

  • Zeit, um die Möglichkeit zu haben, uns eine fundierte Meinung zur Klimapolitik bilden und unsere eigenen Lebensweisen hinterfragen zu können.
  • Zeit, um für unsere Meinungen und Ideen eintreten zu können.
  • Zeit, um uns an gesellschaftliche Veränderungen anpassen sowie diese aktiv und demokratisch mitgestalten zu können.

Nicht zuletzt schafft ein voller Personalausgleich eine Vielzahl neuer Jobs. So kann schließlich auch der Behauptung widersprochen werden, dass wir stetiges Wirtschaftswachstum bräuchten, um Arbeitsplätze zu sichern. Die auch bei „grünem“ Wachstum verheerenden ökologischen Auswirkungen könnten so abgemildert werden.

Den Forderungen des DGB können wir uns in vielen Punkten anschließen, wir wollen aber auch darüber hinaus gehen:

Wir sind überzeugt, dass radikale Arbeitszeitverkürzung eine Forderung ist, die gewerkschaftliche, feministische und klimapolitische Perspektiven sowie die von Erwerbslosen zusammenbringt. Auch in Anbetracht verbreiteter psychischer Belastungen, von Stress und Überforderung durch Lohnarbeit halten wir eine radikale Verkürzung des Arbeitstags für dringend nötig.

Dass der DGB dieses Thema nicht aufgreift, ist deshalb bedauerlich und gesellschaftspolitisch verfehlt. Als einzige große Gewerkschaft kündigt die IG Metall derzeit an, im Herbst für eine kollektive Arbeitszeitverkürzung in der Stahlindustrie bei vollem Lohnausgleich einzutreten. Diesem Kampf gilt unsere Solidarität!

Wir sagen:
Die Luft ist raus. Wir brauchen mehr Zeit.

4-Stunden-Liga, Sektion Berlin