Mayday 2023

Wir dokumentieren hier die diesjährigen Aktivitäten der Sektionen der 4-Stunden-Liga rund um den internationalen Kampftag der Arbeiter*innenklasse. In diesem Sinn: Heraus zum 1. Mai 2023:

Sektion Kassel

Sektion Berlin

Sektion NRW

Sektion Saarland




Sektion Kassel

Das Warm-up unserer Mobilisierung zum 1. Mai bestand in diesem Jahr aus einer gemeinsame Veranstaltung mit dem großartigen Arbeiter*innenliederchor Kassel am Mayday-Vorabend. Am nächsten Tag sollte es dann auf die Straße gehen, unter dem Motto “Mehr Bock auf Freizeit. Gegen den Klassenkampf von oben” mobilisierten wir für unseren Block auf der DGB-Demonstration in Kassel.

Warm-up:
30. April 2023
Arbeiter*innenlieder & Lesung
Sandershaus | Kassel
ab 19:00 Uhr

Die Idee zum Warm-up war nicht auf unserem Mist gewachsen. Der Chor wollte am Vorabend des 1. Mai den längsten Auftritt seiner Geschichte veranstalten und fragte die Liga, ob wir es uns vorstellen konnten, dem Publikum etwas aus der Historie des internationalen Kampftags der Arbeiter*innenklasse darzubieten. Wir sagten zu.

So wurden in den Wochen vor dem Auftritt eifrig die Nasen in die Bücher über die Entstehung der Achtstundenbewegung in Chicago und die Ereignisse am Haymarket gesteckt; wir haben Braunthals Geschichte der Internationale auf brauchbares Material für eine szenische Lesung durchforstet; und es wurden allerlei historische Wegmarken und politische Anekdoten zusammengetragen – Material war also reichlich vorhanden. Da die Vorgabe war, drei mal zehn Minuten zu füllen und dabei nicht wesentlich zu überziehen, war es unvermeidlich dieses Material zu komprimieren, zu kürzen und sich auf wesentlich Punkte zu konzentrieren. Das hat auch geklappt, aber nur mit der Hilfe einer ganzen Reihe Genoss*innen. Besten Dank dafür!

Der Abend selbst war dann ein großer Erfolg. Das Sandershaus war voll. Richtig voll. Es war schwer, noch einen Platz zu finden, da ca. hundertzwanzig Besucher*innen der Einladung gefolgt waren. Die Lesung war pointiert, amüsant und kurzweilig zugleich. Genau das richtige Beiwerk. Aber die Hauptattraktion war natürlich der Chor: Die Zuhörer*innen wurden mit klassischen Liedern der Arbeiter*innenklasse und aktuellen Songs sozialer Bewegungen in eine kämpferische Stimmung versetzt, sodass die letzte Zugabe, selbstverständlich Die Internationale war – vom gesamten Saal einig und euphorisch mitgesungen. Was soll dann noch kommen? Ganz einfach: Alle Anwesenden werden noch einmal nachdrücklich zur Teilnahme an der Demostration am nächsten Morgen eingeladen.

Demo:
1. Mai 2023
4-Stunden-Block | DGB-Demo
Philipp-Scheidemann-Haus | Kassel
ab 10:00 Uhr

Mehr Bock auf Freizeit.
Gegen den Klassenkampf von oben.

In bisher unbekanntem Maße haben sich in den letzten Jahren für viele Menschen Krisendynamiken in allen Bereichen des Lebens verschärft: Die Katastrophe des Klimawandels vertieft sich, in der Corona-Pandemie wurden Menschen, vor allem im Pflegesektor, an die Grenzen ihrer Kräfte getrieben, der russische Angriffskrieg in der Ukraine bedeutet eine grausame Zäsur und die enormen Preissteigerungen führen viele Menschen in die Armut. Währenddessen gehen Arbeitgeber und Kapitaleigentümer in die Offensive, um jeden Versuch einer solidarischen Krisenbewältigung abzuwehren. Die Politik steht dabei an ihrer Seite. Die Kosten dieser Krisenpolitik bezahlen wir in Form von Überstunden, Arbeitsverdichtung, sinkenden Löhnen, der andauernden Unterfinanzierung von Bildung und Pflege sowie den jüngsten unverhohlenen Angriffen auf das Streik- und Versammlungsrecht. »Mehr Bock auf Arbeit« und Füße stillhalten fordern diejenigen, die noch aus jeder Krise Profit schlagen.

Gegen diesen Klassenkampf von oben formieren sich verstärkt kämpferische Antworten von unten: von Griechenland, über Spanien, Portugal, Großbritannien und Frankreich zieht sich eine Welle von Massenprotesten und Streiks gegen die sozialen Verheerungen durch Europa. Mit Streiks im Öffentlichen Dienst, in Krankenhäusern und in den Eisenbahnverkehrsbetrieben bricht sich der Wille, nicht länger zurückzustecken, auch in Deutschland Bahn. Zehntausende sind in den letzten Monaten Gewerkschaftsmitglieder geworden. Die Menschen streiken, statt zur Arbeit zu gehen und fordern, was ihnen zusteht.ür eine dauerhaft kraftvolle Gegenbewegung benötigen wir eine gemeinsame und solidarische Zukunftsvorstellung, in der unsere Kämpfe zusammengehen. Wir fordern deshalb den 4-Stunden-Tag und sagen: »Mehr Bock auf Freizeit«. Denn für eine bessere Zukunft benötigen wir dringend mehr Zeit: Mehr Zeit, in der wir zusammen unsere Gesellschaft gestalten – ökologisch nachhaltig und der gesellschaftlichen Emanzipation zugewandt. Mehr Zeit für die gerechte Verteilung von Sorgearbeit – jenseits von Geschlechtergrenzen. Mehr Zeit, in der wir unser Menschsein entfalten und weiterentwickeln können – solidarisch. Deshalb: Für den 4-Stunden-Tag! Bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Her mit dem guten Leben für alle! Heute, morgen und übermorgen.

Seid einig in der 4-Stunden-Forderung!





Sektion Berlin

Unter diesem Motto haben wir uns an der Demonstration des DGB beteiligt, um unsere Solidarität mit den Arbeitskämpfen der letzten Monate auszudrücken und die Kämpfe der lohnabhängig Beschäftigten zu unterstützen.

Arbeitszeitverkürzung wurde seitens des DGB nicht in den Forderungskatalog aufgenommen. Auf diese Leerstelle haben wir hingewiesen und den Kampf um den 4-Stunden-Tag sichtbar auf die Straße getragen. In Anbetracht verbreiteter psychischer Belastungen, von Stress und Überforderung durch Lohnarbeit kann es in der gewerkschaftlichen Auseinandersetzung nicht ausschließlich um Beschäftigungssicherung und Lohnsteigerungen gehen – auch die radikale Verkürzung des Arbeitstags gehört auf die Tagesordnung!

Hier eröffnet sich auch eine Möglichkeit, Solidarität breiter zu denken, denn:

  • Zu einer „gerechten und friedlichen Zukunft“ (DGB) gehört auch die faire Verteilung unbezahlter Sorgearbeit, für die ein Zurückdrängen der Lohnarbeit eine wichtige Voraussetzung ist.
  • Radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich eröffnet durch einen erleichterten Zugang zu abgesicherter Beschäftigung auch eine Perspektive zur Verbesserung der Situation von Prekarisierten und Arbeitslosen.
  • Für uns steht fest, dass Solidarität nicht von Staatszugehörigkeit und nationalen Grenzen abhängen kann. Arbeitszeitverkürzung hierzulande darf nicht im Bündnis mit deutschen Unternehmen zulasten der Beschäftigten in anderen Ländern umgesetzt werden.

Solidarität breiter Denken!

Für Gewerkschaften, die für mehr streiten als die Interessen ihrer Mitglieder!

Verschiedene Kämpfe zusammendenken und gemeinsam stärker sein!

Radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich!

Den ganzen Text der Berliner Sektion zum ersten Mai findet Ihr hier.





Sektion NRW

Podiumsdiskussion
28. April 2023
Naturfreundehaus Köln-Kalk

Gabriele Winker
Sozialwissenschaftlerin, Care-Aktivistin und Mitbegründerin des Netzwerks »Care Revolution«

Kathy Ziegler
Journalistin, Gewerkschafterin und Teil der ver.di Klima-AG,

Kira Hülsmann
Intensiv-Pflegekraft und Teil der Streikbewegung »Notruf NRW«

Ernst Lohoff von der »Gruppe Krisis«

Vor mit 60 Teilnehmenden gelang es, die Bedeutung einer radikalen Arbeitszeitverkürzung aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Gabriele Winker hob hervor, dass 54% aller in Deutschland geleisteten Arbeit unbezahlt ist, Care- oder Sorge-Arbeit, die zu 90 % von Frauen erbracht wird (die Zahlen gelten für Frauen, da Flinta in offiziellen Statistiken keine Berücksichtigung finden). Mit Ernst Lohoff verhandelte sie über den Arbeitsbegriff, den sie durchaus positiv als ziel- und zweckmäßige Tätigkeit sieht, während Ernst Lohoff  aus der Historie heraus erklärte, wonach menschliche Tätigkeit erst in der kapitalistischen Verwertung zu Arbeit wird. Wir zeichnen den Verlauf dieser Diskussion nicht nach, um nicht durch Verkürzung zu verfälschen. Hier zeichnet sich aber die Möglichkeit für eine spannende Debatte ab, ein Widerspruch im Verständnis von Arbeit, der lösbar scheint. Einig waren sich beide aber in der Forderung nach Überwindung der Lohnarbeit.

Kira Hülsmann berichtete aus der Praxis der Pflegeberufe und konnte damit die theoretischen Ausführungen von Gabriele Winker anschaulich aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit ergänzen. Kira konnte in eindrucksvoller Weise repräsentieren, wie Selbstermächtigung wirkt, auch wenn der schwere, langsame Tanker ver.di schwer zu bewegen ist.

Überhaupt: aus dem Publikum kamen viele kritische und ermutigende Aspekte, u.a. eben auch ein Plädoyer für die Selbstermächtigung der Menschen in Aneignung und Gestaltung ihrer Lebenswirklichkeit.

Kathy Ziegler gelang es in einem sehr großen Bogen, Gewerkschaft und Klimabewegung zusammenzudenken. Hierfür stehen erste gemeinsame Aktionen von Fridays for Future und Verdi zur Verkehrswende.

Aber auch die Forderung nach radikaler Arbeitszeitverkürzung verbindet beide Perspektiven. Hier sei die sehr verkürzte Darstellung des Zusammenhangs erlaubt: verkürzte Arbeitszeit bei vollem Personalausgleich verhindert die Kompensierung durch Arbeitsverdichtung und gesteigerter Produktivität, also weniger Produktion von Schrottprodukten, weniger Ressourcenverbrauch.

Aus dem Publikum gab es kritische Fragen zur Rolle der Gewerkschaften, die nicht über Verteilungskämpfe hinausgelangen würden.

Wer soll die radikale Arbeitszeitverkürzung bezahlen? Würde sie in eine ökonomische Krise führen? Kann sie durch eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums über Steuern durch einen Wohlfahrtsstaat erfolgen? Oder gerät das Kapital durch den Vierstundentag an seine Grenzen? Setzt der Vierstundentag die Vergesellschaftung der Produktion voraus oder ist es umgekehrt: ist der Vierstundentag ein Schritt hin zur Vergesellschaftung? Können kleine Zellen der kollektiven Arbeit Beispiele sein für den Zusammenschluss „freier Produzenten“ (wie es bei Marx heißt)?

Fragen über Fragen, die Teile aus dem Publikum nach zwei Stunden gerne weiterdiskutiert hätten. Aber leider musste hier mal Feierabend sein.

Wir als 4-Stunden-Liga freuen uns darauf, hierüber mit allen emanzipatorischen Menschen und Gruppen in der Diskussion zu kommen und gemeinsame Aktionen durchzuführen.





Sektion Saarland

Die 4-Stunden-Liga Saar beteiligte sich am antikapitalistischen und kämpferischen Block von “Genug ist Genug Saarland” auf der DGB-Demonstration in Saarbrücken.

Zum ersten Mal in der jüngeren Geschichte gab es in Saarbrücken einen organisierten Auftritt im weitesten Sinne antikapitalistischer Kräfte am 1.Mai. Das soziale Protestbündnis “Genug ist Genug – Saarland”, dem auch die 4-Stunden-Liga Saar angehört, hatte zu einem kämpferischen und antikapitalistischen Block aufgerufen. Mit knapp 200 Menschen konnte ein lauter, bunter und kämpferischer Block auf der Gewerkschaftsdemo am internationalen Kampftag der Arbeiter*innenklasse gestellt werden, der sich hinter dem Motto “Für einen revolutionären 1. Mai – Für kämpferische Gewerkschaften” versammelte. Die 4-Stunden-Liga Saar organisierte diesen Block federführend mit und zeigte bereits vor dem 1.Mai Sichtbarkeit durch eigene Plakate und Flyer. Auf der Demo konnten die Sektion Saar mit zwei Hochtransparenten, Fahnen, einem Info-Stand sowie verschiedenen Parolen, den Block sowohl inhaltlich als auch optisch mitprägen. Der “Genug ist Genug”-Block brachte damit nicht nur seinen Unmut über das deutsche Krisenmanagement und die rasant zunehmende Verarmung zum Ausdruck, sondern stellte auch klar, dass wir gegen den Klassenkampf von oben – für Arbeitszeitverkürzung und höhere Löhne – kämpfen werden. Dies wurde mit antikapitalistischen Perspektiven und der Betonung internationaler Solidarität verbunden. Verschiedene soziale Bewegungen wie Teile der Klimabewegung (bspw. Fridays for Future Saarland oder EndFossil Saar) als auch die Flüchtlingssolidaritätsbewegung (bspw. Saarländischer Flüchtlingsrat oder Seebrücke Saar) haben sich unserem Block mit eigenen Transparenten angeschlossen; ebenso wie die kurdische Freiheitsbewegung und feministische Akteur*innen. Das macht Hoffnung, dass es uns gelingen kann, zukünftig verschiedene Kämpfe zusammenzudenken.