
Luther war nicht nur Antisemit, Frauenhasser und Sozialrassist, sondern auch fanatischer Arbeitsfetischist. Arbeit galt ihm als unausweichlicher Dienst an Gott, dem sich alle zu fügen hatten. Müßiggänger:innen, arme Bettler:innen und die „unehrliche“ Arbeit von Juden und Jüdinnen waren ihm ein Dorn im Auge. Seine Erwerbsethik lieferte das ideologische Fundament moderner Lohnsklaverei und markiert den Beginn einer spezifischen Kontinuitätslinie in der deutschen Geschichte, in deren Mittelpunkt ein besonderes, moralisch überhöhtes und geradezu reaktionäres Verständnis von Arbeit steht.
Die 4-Stunden-Liga Saar fordert: Stoppt den deutschen Arbeitsfetisch! Für mehr Muße – und weniger Arbeit!
Aufruf zum Tag des Müßiggangs am 31. Oktober
„Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen“. Klingt wie ein missglückter Werbeslogan eines neoliberalen Arbeitgeberverbands, stammt aber aus der Feder Martin Luthers. Mit seinen Predigen nistete sich der moderne Arbeitswahn tief in die Köpfe der Gesellschaft ein. Wo Arbeit vorher als eine mühsame Notwendigkeit menschlicher Existenz galt, wurde sie auf einmal zur von Gott auferlegten Pflicht. „Müßiggang ist Sünde wider Gottes Gebot, der hier Arbeit befohlen hat”, so Luther. Alles was nicht voll und ganz im Dienste der Arbeit stand, wurde zu Todsünden – und sind es bis heute.
Luther propagierte die Idee »deutscher Arbeit« auf besonders zynische Art und Weise, indem er alles drumherum, insbesondere jüdische Arbeit, als unehrenhaftes Gegenteil auffasste. Diese unheilvolle Tradition der Ausgrenzung, die über den Nationalismus des 19. Jh. auf grausame Weise im Nationalsozialismus kulminierte und deren normative Tiefendimension, also das, was sie an Wertvorstellungen und Emotionen mit sich führt, unterhalb der Oberfläche weiter ideologisch gärt, reicht bis in unsere Gegenwart hinein.
Es ist also auch das Erbe Luthers, dass das vorherrschende Arbeitsideal in Deutschland bis zum heutigen Tage moralisch überhöht und immer wieder völkisch aufgeladen wird. Die immer wieder auftauchende Behauptung, dass sich Deutsche durch ihre besondere Art der Arbeit hervortun, zeigt die Beständigkeit des überhöhten Selbstbildes „deutscher Arbeit“. Besonders genau, besonders fleißig, qualitativ besonders hochwertig – »Made in Germany« eben.
Eine solche Arbeitsauffassung ist das genaue Gegenteil einer kritischen, emanzipatorischen Theorie der Arbeit und prägt das deutsche Verständnis von Arbeit bis heute. [1] Unsere radikale Kritik an Arbeit setzt dem deutschen Arbeitsideal die Nicht-Arbeit und den Müßiggang als emanzipatorische Elemente entgegen und weist (Lohn-)Arbeit als dem Kapitalismus immanenten Zwang zurück.
Karl Marx hat einen kategorischen Imperativ formuliert, demnach alle Verhältnisse umzuwerfen seien, in denen der Mensch »ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist«. Arbeitsverhältnisse sind solche Verhältnisse. Die zentrale Klassenbeziehung in kapitalistischen Gesellschaften ist durch den Gegensatz von Kapital und Arbeit bestimmt und kann als ein Verhältnis von Ausbeutung und Abhängigkeit beschrieben werden. Die Arbeitskritik muss dieses Verhältnis als Kraft der Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlagen in den Blick nehmen. Der Zwang zur Arbeit ist der grundlegende Zwang der kapitalistischen Gesellschaft. Wer nicht kapitalbesitzend ist, muss um überleben zu wollen, die eigene Arbeitskraft verkaufen – also sich selbst zur Ware machen. Der Kapitalist muss die Arbeitskraft auspressen um in der Konkurrenz im Wettbewerb auf dem Markt bestehen zu können. Dieser “Tanz nach der Pfeife des Kapitals” [2] verweist auch immer darauf, was eine sich weltweit zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse zuarbeitende Menschheit leisten könnte oder eben auch nicht leisten können. Das Gesamtergebnis ist nicht der Aufstieg der Menschheit aus den Tiefen der Armut, sondern die gewaltsame Aufrechterhaltung der überwiegenden Mehrheit der Weltbevölkerung in einem Zustand der Sklaverei – zu arm, um der Ausbeutung zu entkommen, aber nicht arm genug, um zu verhungern. Die derzeitige Krise ist ein besonders drastischer Ausdruck dafür, wie die Bedürfnisbefriedigung der kapitalistischen Logik untergeordnet wird. Wer heute immer noch das Loblied der Arbeit singt und so tut, als ließe sich die Krise dadurch lösen, dass alle den Gürtel enger schnallen, die Heizung herunterdrehen und nochmal kräftig die Ärmel hochkrempeln, leidet unter einem geradezu grotesken Realitätsverlust. Warum die kapitalistische Maschinerie immer weiter in Gang halten, obwohl sie uns nichts zu bieten hat als noch mehr Zerstörung und immer schlechtere Arbeits- und Lebensbedingungen? Das genaue Gegenteil ist gefragt, wie Norbert Trenkle von der Gruppe Krisis formuliert: “Es kommt darauf an, dem Kapital die Lebenszeit und die Ressourcen streitig zu machen, die es uns permanent entzieht und in Mittel der Weltzerstörung verwandelt. Nur so kann es gelingen, die Räume zu öffnen für eine Produktions- und Lebensweise, die auf freier, selbstbestimmter Tätigkeit, Kooperation und Solidarität beruht.” Richtungsweisend in diesem Sinne sind Forderungen, die Spielräume für eine Zurückdrängung des Arbeitszwangs ermöglichen [3], wie eben unsere Forderung nach radikaler Arbeitszeitverkürzung.
(Lohn-)Arbeit immer noch ins Zentrum unseres Daseins zu stellen und alles andere rundherum abzuwerten ist so überkommen wie die Predigen Luthers. Anstelle des tief verankerten Glaubens an die Alternativlosigkeit ausbeuterischer Lohnarbeit muss die Perspektive einer radikalen Arbeitszeitverkürzung treten. Mit »Verzicht«, wie er jetzt überall gepredigt wird, hätte das nichts zu tun. Im Gegenteil: Es wäre ein Gewinn an lustvoller und selbstbestimmter Lebenszeit sowie notwendige Voraussetzung für gesellschaftliche Emanzipation. Die Vision muss dabei mehr sein als bloß eine quantitative Reduktion der Lohnarbeit sondern es muss um einen qualitativen “Bruch mit der verdinglichten, gesellschaftlichen Tätigkeits- und Beziehungsform gehen, die der kapitalistischen Herrschaft zugrunde liegt” (Trenkle). Menschengemäße Bedingungen, in denen das (re-)produktive Tätigsein ein Moment des Genusses und der Interaktion wäre, beschrieb Marx 1844 an einer der wenigen Stellen, wo er versuchte, zu zeigen, was sein könnte, wenn nicht die Gesellschaft unter der Herrschaft der Warenproduktion stünde:
“Gesetzt wir hätten als Menschen produziert: (…) Meine Arbeit wäre freie Lebensäußerung, daher Genuss des Lebens. Unter der Voraussetzung des Privateigentums ist sie Lebensentäußerung, denn ich arbeite, um zu leben, um mir ein Mittel des Lebens zu verschaffen. Mein Arbeiten ist nicht Leben. Zweitens: In deiner Arbeit wäre daher die Eigentümlichkeit meiner Individualität, weil mein individuelles Leben bejaht. Die Arbeit wäre also wahres, tätiges Eigentum. Unter der Voraussetzung des Privateigentums ist meine Individualität bis zu dem Punkte entäußert, dass diese Tätigkeit mir verhasst, eine Qual und vielmehr nur der Schein einer Tätigkeit, darum auch eine nur erzwungene Tätigkeit und nur durch eine äußerliche zufällige Not, nicht durch eine innere notwendige Not mir auferlegt ist. Nur als das, was meine Arbeit ist, kann sie in meinen Gegenstand erscheinen. Sie kann nicht als das erscheinen, was sie dem Wesen nach nicht ist. Daher erscheint sie nur noch als der gegenständliche, sinnliche, angeschaute und darum über allen Zweifel erhabene Ausdruck meines Selbstverlustes und meiner Ohnmacht.”
Karl Marx, MEW Ergänzungsband I, S. 462f.
[1] https://jungle.world/artikel/2022/27/samba-si-arbeit-no
[2] https://jungle.world/artikel/2022/32/arbeiten-im-falschen