»Das Ergebnis hat mich selbst überrascht und auch schockiert«

Ein Gespräch mit Philipp Frey über Arbeitszeitverkürzung als Beitrag zur CO2-Reduktion.

November 2020

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4-Stunden-Liga: Hallo Philipp. Stell Dich doch mal bitte kurz vor.

Philipp Frey: Mein Name ist Philipp Frey. Ich bin wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse, an dem ich zu den gesellschaftspolitischen Implikationen der Automatisierung von Arbeit forsche. Außerdem bin ich im Vorstand des Zentrum Emanzipatorische Technikforschung (ZET), einem kleinen technikpolitischen Think Tank, in dem wir versuchen, auf emanzipatorische Potentiale, aber natürlich auch Gefahren des technologischen Wandels hinzuweisen.

Du hast im Auftrag des britischen Think-Tanks Autonomy die Studie »The Ecological Limits of Work«1) erstellt, die 2019 erschienen ist. In dieser Studie untersuchst du den Zusammenhang von Arbeitszeit und CO2-Emission. Zu welchen Ergebnissen bist du gekommen? Und was bedeuten diese Ergebnisse in Hinblick auf den Kampf gegen die Klimakrise?

Um genau zu sein, erforsche ich in der Studie nicht den Zusammenhang von Arbeitszeit und CO2-Emissionen – zumindest nicht empirisch. Stattdessen frage ich mich, wieviel Arbeit noch in einem ökologisch nachhaltigen Rahmen möglich wäre, wenn wir ein 1:1 Verhältnis von CO2-Emissionen und Arbeit annehmen. Die Motivation zu der Studie entstand im Zuge meiner Beschäftigung mit der zunehmenden Automatisierung von Arbeit. Die dominante Leitvision für ihre Gestaltung ist in Deutschland ja die sogenannte Industrie 4.0, also die Vision, man könne durch beschleunigten technischen Fortschritt die exportorientierte deutsche Wirtschaft noch konkurrenzfähiger machen. Indem man seine Marktanteile global ausdehnt, soll beschleunigtes Wirtschaftswachstum ermöglicht werden, was dann wiederum dazu führen soll, dass der beschleunigte technologische Wandel nicht zu technologischer Arbeitslosigkeit führt. Oder vereinfacht gesagt: Steigt die Produktivität, ist das kein Problem für die Arbeitsplatzsicherheit, wenn man einfach davon ausgeht, dass man nochmal doppelt so viele Karren nach China oder die USA exportieren kann.

Diese Strategie ist einerseits einleuchtend, andererseits stellt sie einen Versuch dar, den Arbeitsmarkt auf eine Art und Weise zu stabilisieren, die wiederum unser Ökosystem massiv zu destabilisieren droht. Ich habe in meiner Studie also die Fragerichtung umgedreht. Statt zu fragen, wie sich bei steigender Produktivität durch Wachstum möglichst viele (35-40 Stunden) Vollzeitarbeitsplätze retten ließen, habe ich mich gefragt, wieviel Arbeit beim heutigen Niveau von Produktivität (gemessen in € BIP pro Arbeitsstunde) und Kohlenstoffintensität (CO2-Emissionen pro generiertem € BIP) noch nachhaltig wäre. Also wieviel gesellschaftlicher Reichtum in einer Wirtschaft, die so schmutzig arbeitet, wie die unsere, noch drin wäre – und wie lange man arbeiten müsste, um diesen Reichtum zu schaffen. Dazu bin ich basierend auf Literatur aus den Nachhaltigkeitswissenschaften von der Annahme ausgegangen, dass uns nur noch ein CO2-Budget von rund 1,6 Tonnen pro Kopf pro Jahr verbleibt, wenn wir die globale Erwärmung auf 2°C begrenzen wollen. Dieses CO2-Budget kann man dann in ein Verhältnis zur Kohlenstoffintensität unserer Wirtschaft stellen, um auf ein noch-nachhaltiges Maß gesellschaftlichen Reichtums zu kommen. Auf der Grundlage anschließend zu berechnen, wie lange man arbeiten müsste, um diesen Reichtum zu erwirtschaften, ist wiederum relativ trivial.

Das Ergebnis hat mich selbst überrascht und auch schockiert. In Deutschland müsste man sich auf eine 6- bis 7-Stunden-Woche beschränken und selbst noch im ziemlich ökologisch nachhaltig wirtschaftenden Schweden wäre man nur bei einer 12-Stunden-Woche.

Das Ergebnis illustriert zunächst einmal grundsätzlich, dass die herrschende Art und Weise zu wirtschaften völlig unnachhaltig ist – auch wenn es national doch bemerkenswerte Unterschiede gibt.

Deine Studie hat international ein relativ großes mediales Echo ausgelöst und schaffte es bis in die Mainstream-Presse hinein. Welche Reaktionen gab es und hat Dich diese Resonanz überrascht?

Ja, tatsächlich war die Resonanz für mich sehr überraschend. Nicht nur haben bildungsbürgerliche und progressive Medien relativ breit berichtet – sogar ein britisches Boulevard-Blatt hatte ein mehrseitiges Feature mitsamt Frontseite. Ich glaube die Überschrift war: »Best news ever – work a 9-hour work week to save the planet« (die neun Stunden sind der Wert, der sich für die britische Wirtschaft ergab). Ich glaube einerseits war die Zeit einfach reif. Es gab global riesige Mobilisierungen wegen der Klimakrise und insbesondere in Großbritannien gab es davor auch schon eine weitreichende Debatte zur 4-Tage-Woche. Andererseits waren die Ergebnisse so schockierend, dass sie sich, glaube ich, gut als Aufmacher in Medien geeignet haben. In Summe kann man wohl sagen, dass die Studie dazu beigetragen hat, Arbeitszeitverkürzungen als eine mögliche Policy unter anderen zur Verhinderung der Klimakatastrophe in die Öffentlichkeit zu tragen.

Nun ist zum Thema Arbeitszeitverkürzung und Treibhausgasemissionen bzw. Klimawandel Deine Studie nicht die erste. Seit den frühen 2000er Jahren widmen sich Forscher*innen zunehmend diesem Thema auf empirischer und theoretischer Ebene. Inwiefern haben diese Forschungen Deine Arbeit beeinflusst?

Die bisherige Forschung zum Thema Arbeitszeitverkürzungen und Treibhausgas-Emissionen habe ich natürlich versucht zur Kenntnis zu nehmen. Insbesondere die Arbeiten von Juliet Schor waren dabei für mich zentral. Aber diese Forschung versucht vor allem dem Verhältnis von Arbeitszeiten und Emissionen in realexistierenden Ökonomien heute nachzugehen und empirische Evidenzen zu sammeln. Ich bin aber ja einfach von einer recht simplen Annahme ausgegangen (1:1-Verhältnis Emissionen und Arbeit) und habe von dort aus die Fragerichtung abgewandelt: statt danach zu fragen, wie viele Emissionen eingespart würden, wenn man die Arbeitszeit um einen Wert X reduzieren würde, habe ich mich gefragt, wie groß der Wert X sein müsste, um auf ein nachhaltiges Maß zu kommen. Bei mir handelt es sich also um eine abstraktere Herangehensweise und Fragestellung, die sich vermutlich etablierte Ökonomen auch ungern vorlegen würden.

Dennoch wäre eine deutliche Verringerung der gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit ein entscheidender Beitrag zur direkten CO2-Einsparung und damit zum Klimaschutz. Allerdings wird in der öffentlichen Debatte zum Klimawandel darüber kaum geredet. Stattdessen reden wir über individuelle Verantwortung und Lebensstile. Die gängigen Themen sind Fragen nach dem individuellen CO2-Fußabdruck, also Konsum, Mobilität & Energieverbrauch. Warum spielt die Sphäre der Erwerbsarbeit und das Thema Arbeitszeitverkürzung Deiner Meinung nach keine Rolle?

Das ist eine Frage, die mich auch schon seit längerem umtreibt. Etwas polemisch könnte man wohl sagen: Moralisieren ist billig und tut insbesondere der Kapitalseite nicht weh. Ein paar ökologisch Bewegte, die – selbst häufig auf einem Niveau weitgehender materieller Sättigung angelangt – anderen predigen, sie müssten aus ökologischen Gründen dringend den Gürtel enger schnallen, sind doch in gewisser Weise auch irgendwie erfrischend. Immerhin kann man ihnen Bioprodukte (oft zu völlig überteuerten Preisen) verkaufen und sie fordern auch nichts wirklich Schmerzhaftes wie Regulation oder so. Auf der anderen Seite darf man auf mehr Verständnis und vielleicht sogar Spendengelder aus der Industrie hoffen, wenn man statt Bagger zu besetzen, die hundertste Kampagne für einen ethischeren Konsum auflegt. Statt an Machtfragen zu rühren, droht so die Debatte um Nachhaltigkeit ganz zu einem Kampf um die Herzen der Konsumenten zu verkommen. Wenn man aber über das Verhältnis von kollektiven Arbeitszeitverkürzungen und Emissionen spricht, dann geht es auf einmal um mehr, nämlich letztlich um die Frage, wofür wir wieviel arbeiten wollen und wie wir unsere Wirtschaft in einem empathischen Sinne rational gestalten können.

Ist eigentlich ein Szenario denkbar, in dem die gesellschaftliche Gesamtarbeitszeit gleich bleibt oder sogar zunimmt und dennoch aufgrund von Veränderungen der Produktionsbedingungen (Stichwort: grüne Technologie) weniger CO2 emittiert wird? Was bedeutet das für das Thema Arbeitszeitverkürzung?

Natürlich ist das möglich! Tatsächlich, würde ich sagen, ist das sogar in vielen Ländern bereits der Fall. In Deutschland werden ja z.B. bereits hunderte Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente weniger emittiert als 1990. Gleichzeitig hat die Wochenarbeitszeit stagniert und ist die Wirtschaft massiv gewachsen. Grundsätzlich kann ich für die von mir untersuchten Länder sagen, dass die Kohlenstoffintensität in den letzten Jahrzehnten schneller gesunken ist, als die Produktivität stieg. Man könnte also meinen, etwas vorsichtiger Optimismus wäre angezeigt. Die Frage ist aber ja nicht, ob wir es hinbekommen können, unser gegenwärtiges Emissionsniveau zu stabilisieren oder leicht zu senken. Wir stehen vor der Herausforderung, dass wir das Emissionsniveau rasch und massiv senken müssen, und danach sieht es auf Basis der historischen Daten nicht gerade aus. Das heißt aber nicht, dass man nicht beschleunigt auf grünere Technologien umsteigen sollte. Arbeitszeitverkürzungen sind aus meiner Sicht eine notwendige, aber keine hinreichende Möglichkeit, unser Emissionsniveau zu senken. Aber anders als irgendwelche technischen Lösungen, auf die seit Jahrzehnten gehofft wird, könnten Arbeitszeitverkürzungen, wie sich in der gegenwärtigen Krise gezeigt hat, rasch und effektiv umgesetzt werden.

Es gibt ja auch die Position, dass bei Arbeitszeitverkürzung mit Rebound-Effekten zu rechnen ist: Das Mehr an freier Zeit führe zu mehr Freizeitaktivitäten, die wiederum mit einem erhöhten Ausstoß von Treibhausgasen verbunden seien. Was auf Seiten der Arbeit an Emissionen eingespart werde, werde durch steigende Emissionen als Folge der Zunahme von Freizeitaktivitäten wieder mehr als aufgezehrt. Wie beurteilst du diesen hier behaupteten Zusammenhang?

Sicherlich verursachen auch Freizeitaktivitäten Treibhausgasemissionen. Entsprechend führt auch mehr Freizeit nicht einfach zu Null-Emissionen, sondern zu neuen Emissionsquellen. Allerdings zeigen Satellitenmessdaten, dass in Nordamerika und Europa die Emissionslevel am Wochenende signifikant niedriger liegen, als unter der Woche. Es gibt also nicht nur empirische Hinweise, dass Volkswirtschaften mit kürzeren Arbeitszeiten weniger emissionsintensiv wirtschaften – es gibt auch eine hohe Sensitivität anthropogener Emissionen im Wochenverlauf. Mir scheint aber auch aus eher qualitativen Gründen die Sorge vor einem Temporal-Rebound-Effekt zum Teil überzogen. So erscheint die Sorge von Menschen aus der Wissenschaft und den Medien, ein verlängertes Wochenende könnte für häufige Kurzurlaubsflüge nach London oder Madrid genutzt werden, zunächst einmal einleuchtend. Gleichzeitig ist das Fliegen weiter Privileg einer relativ kleinen Gruppe von Menschen. Schätzungen besagen, dass 80 bis 90 Prozent der Menschen weltweit noch nie geflogen sind. Zu der kleinen Gruppe der Vielflieger wiederum gehören in Deutschland vermutlich deutlich mehr Journalist*innen oder Wissenschaftler*innen, als Mindestlöhner*innen oder Hartz IV-Bezieher*innen. Aus der Frage scheint mir also ein stückweit auch einfach das schlechte Gewissen wegen eines Lebensstils zu sprechen, der zwar in der eigenen Bevölkerungsschicht dominiert, aber bei weitem nicht repräsentativ ist. Gleichzeitig ist es auch so, dass unser Konsum in der Freizeit auf vielfältige Weise mit Lohnarbeit vermittelt ist. Nicht nur sind wir auf unseren Lohn angewiesen, um das Ticket nach London zu bezahlen: Das Flugzeug wird ohne Pilot*in kaum abheben. Die langen Schlangen gestrandeter Urlauber*innen bei jedem Streik des Bodenpersonals zeigen, dass es ohne deren Arbeit auch nicht geht. Irgendjemand muss außerdem die Flugzeuge, das Terminal und die Landebahnen gebaut, das Kerosin gefördert, raffiniert und transportiert haben. Wir sind auf Transportdienstleistungen angewiesen, um zum Flughafen zu kommen. Noch der Mallorca-Tourist, der im Billigflieger seinen Rausch ausschläft, kann dies nur, weil Jahre vorher tausende Menschen sich mit der Konstruktion von Flugzeugturbinen befasst haben. Kurz: der einzige Weg, in seiner Freizeit jenseits der Verwiesenheit auf Lohnarbeit nennenswert Emissionen zu verursachen, ist vermutlich, Stöckchen aneinander zu reiben und so einen Waldbrand zu verursachen. Was wiederum, zum Glück, unter Strafe steht. Wenig CO2-intensive Freizeitaktivitäten lassen sich wiederum rasch finden: Brettspiel-Runden, schlafen, lesen, sich unterhalten. Das soll nicht heißen, dass es nicht Sinn machen würde, die Bedingungen, unter denen Menschen ihre Freizeit zubringen müssen, zu verändern, wenn es zu einer weiteren Ausdehnung der Freizeit kommt. Wer vom Diesel-Privileg oder CO2-Besteuerung nicht sprechen will, sollte aber auch vom temporal-rebound schweigen.

In der Geschichte der Kämpfe für Arbeitszeitverkürzung war die Umverteilung von Arbeit bzw. die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit stets ein zentrales Motiv. Ebenso war die Forderung nach vollem Lohnausgleich gerade für die Mobilisierung der Lohnarbeitenden mit geringen Löhnen ein wiederkehrendes Moment dieser Kämpfe. Inwiefern spielen die Forderungen nach Lohnausgleich und Personalausgleich in den einschlägigen wissenschaftlichen Diskussionszusammenhängen von Arbeitszeitverkürzung und Co2-Emission eine Rolle?

Das ist tatsächlich ein neuralgischer Punkt, der letztlich politisch zu bearbeiten wäre, beispielsweise im Dialog von Akteur*innen der Umweltbewegung und der Gewerkschaften. Häufig wird in den einschlägigen Studien davon ausgegangen, dass verringerte Arbeitszeiten auch zu einem geringeren Haushaltseinkommen führen und der Reduktionseffekt zumindest zum Teil durch einen in Folge des sinkenden Einkommens reduzierten Konsum erklärt. Ähnliches gilt für den Personalausgleich. Zwar ist es schon ökologisch vorteilhaft, wenn sich dieselbe Menge Arbeit (und damit Produktion) auf mehr Schultern verteilt, weil so individuell betrachtet jeder mehr Zeit hat, um z.B. zu Hause etwas zu kochen, statt auf energieintensive Tiefkühlprodukte zurückzugreifen. Aber die größten Reduktionseffekte ergeben sich aus einer Drosselung der Gesamtproduktion. Ich würde hier eine differenzierte Herangehensweise vorschlagen. Tatsächlich zeigt ja die Forschung, dass auch innerhalb reicher Gesellschaften wie der deutschen die Emissionen extrem ungleich verteilt sind – je mehr Geld die Leute zur Verfügung haben, desto mehr emittieren sie auch, was heißt: die Reichen emittieren völlig überproportionale Mengen von Treibhausgasen. Und ich glaube, hier ließe sich ein sinnvoller Kompromiss finden. Für extrem gut bezahlte Manager*innen braucht es keinen Lohnausgleich, und ein Verzicht auf Privatjets oder den Dritt-SUV ist sozial wie ökologisch zumutbar und wünschenswert. Anders sieht es aus bei den »working poor«. Diese sind faktisch bereits Vorreiter*innen ökologischer Nachhaltigkeit (wenn auch unfreiwillig), könnten aber mehr Geld gut gebrauchen – gerade, wenn sich einzelne Güter im Zuge etwa von CO2-Bepreisung verteuern sollten.

Unserer Ansicht nach müssten wir mittlerweile von einer umfassenden Krise des gesellschaftlichen Naturverhältnisses sprechen. In der Debatte um Umweltzerstörung wird sich jedoch sehr häufig vor allem mit dem CO2-Austoß und dessen Auswirkungen auseinandergesetzt. Warum, meinst du, ist dieses Thema so präsent und wie bewertest du es im Vergleich zu anderen Umweltproblemen?

Erstmal würde ich euch zustimmen, dass es um mehr geht, als „nur“ um CO2-Emissionen. Warum sie so im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, hat sicherlich verschiedene Gründe. Zunächst einmal ist es so, dass sich andere Formen von Umweltzerstörung leichter und zuverlässiger externalisieren lassen. Wenn ich meinen Plastikmüll und meine alten Batterien irgendwo nach Afrika exportiere, dann bleibt das Problem erstmal dort. Wenn die Förderung von Bodenschätzen lokal Schwermetallvergiftungen zur Folge hat, bleiben auch diese erstmal dort. Und wenn Menschen immer weiter zu immer knapperen Wasserquellen wandern müssen, um eines der basalsten menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen, dann ist das erstmal das Problem dieser Menschen da vor Ort. Das heißt nicht, dass ich eine solche chauvinistische Sichtweise teile, aber es erklärt doch, warum viele Formen der Umweltzerstörung in der deutschen Debatte keine ähnliche Aufmerksamkeit erhalten, wie die Klimakrise. Es fällt schlicht sehr leicht, andere Formen der Umweltzerstörung zu verdrängen. Andersherum sind Hitzewellen auch in Deutschland gerade für Ältere und Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen tödlich und Extremwetterphänomene führen schon heute zu signifikanten Kosten. Ich meine, es ist aber auch strategisch ein stückweit klug, sich auf dieses Problem zu konzentrieren. Nicht nur, weil die Klimakrise global die Lebensbedingungen der gesamten Menschheit katastrophal zu verschlechtern droht. Sondern auch, weil ich meine, dass eine vernünftige Meisterung der Klimakrise bereits ein Niveau bewusster gesellschaftlicher Gestaltung voraussetzt, von dem aus dann die anderen Formen der Umweltzerstörung leichter zu bewältigen sein sollten. Insofern sie nicht schon durch Beschränkungen emissionsintensiver Verhaltensweise, die oft auch in anderer Weise zerstörerisch wirken, zurückgedrängt wurden.

Welche Maßnahmen empfiehlst Du denn, um einen politischen Prozess in Gang zu setzen, der Deine Ergebnisse ernst nimmt? Und für welche politischen Akteure ist Deine Studie interessant?

Ob die Ergebnisse von Forschung ernst genommen werden, liegt natürlich nicht in der Hand des einzelnen Forschers. Ich hoffe allerdings, dass die Forderung nach Arbeitszeitverkürzungen eine Schlüsselforderung sein könnte, auf die sich die Umweltbewegung und die Gewerkschaften, sowie die mit ihnen assoziierten politischen Parteien, verständigen könnten. Ich meine, ein gegenhegemoniales Projekt kommt nicht ohne mobilisierungsfähige, attraktive Forderungen aus und aus meiner Sicht sind Arbeitszeitverkürzungen hier naheliegend und breit anschlussfähig.

Während Umfragen immer wieder zeigen, dass sich die Mehrheit der lohnabhängig Beschäftigten eine Verkürzung ihrer Arbeitszeit wünscht und viele dafür sogar auf Geld verzichten würden, engagieren sich immer mehr Menschen in Ökologiebewegungen für den Erhalt der Natur, wofür emblematisch die Fridays-for-Future-Bewegung steht. Der Zusammenhang von Arbeitszeit und der Emission von Treibhausgasen ist ein Scharnier, eine Verständigungsgrundlage, um Gewerkschaft, Umweltbewegung und die mit ihnen politisch assoziierten Parteien zusammenzuführen. Wie lassen sich deiner Einschätzung nach die bestehenden Debatten um ökologische Nachhaltigkeit einerseits und Verkürzung der Arbeitszeit andererseits miteinander verbinden, um daraus das größtmögliche Mobilisierungspotenzial für eine emanzipatorische Umgestaltung unserer Gesellschaft zu schöpfen?

Ein paar Andeutungen habe ich ja bereits zu der Frage gemacht. Was ich spannend finde, ist, dass Fridays-for-Future sich ja ein Mittel der Arbeiter*innenbewegung, den Streik, angeeignet hat, um für ökologische Nachhaltigkeit zu kämpfen. Wir vom ZET haben in diesem Sinne auch einen Freeday-for-Future gefordert. Die Fridays-for-Future waren Vorreiter – der Freitag sollte allgemein frei sein, schon um der Emissionsreduktion willen. Spannend fände ich es, wenn Umweltschutzorganisationen vermehrt Arbeitszeitverkürzungen in ihre Forderungskataloge aufnehmen und so den Gewerkschaften auf Policy-Ebene die Hand reichen würden. Aber auch auf praktischer Ebene gab es in den letzten Monaten bemerkenswerte Entwicklungen. Ich denke da z.B. an die Unterstützung des Streiks im öffentlichen Nahverkehr durch viele Fridays-for-Future-Gruppen. Es ist klar, dass die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst aufgewertet werden müssen, um nachhaltigere soziale Infrastrukturen zu schaffen. In diesem Sinne ist der gemeinsame Streik von Beschäftigten und Fridays-for-Future ein hoffentlich zukunftsträchtiges Zeichen.

Ist das Aufzeigen der ökologischen Dimension von Arbeitszeitverkürzung etwas komplett Neues? Oder gab es auch schon vor der Debatte um die Klimakrise Diskussionen um Arbeitszeitpolitik, in der auch umweltpolitische Aspekte eine Rolle gespielt haben?

Bereits im 19. Jahrhundert finden sich ja bei Marx und Engels Überlegungen, wie über Arbeit einerseits der stoffliche Austausch mit der Natur organisiert wird und andererseits wie die Organisation der Arbeit im Kapitalismus (zum Zwecke der Profitmaximierung) um mit Marx zu sprechen »die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter«. Und für Marx war auch klar: Arbeitszeitverkürzungen sind ein zentrales Moment einer vernünftigeren Wirtschaftsweise.

In deiner Studie setzt du deine Hoffnung darauf, dass sie eine Debatte über »Zeitwohlstand« stimuliert. Was verstehst du unter diesem Begriff?

Zeitwohlstand bedeutet für mich zunächst einmal Autonomie und genug freie Zeit neben der Lohnarbeit zur freien Entfaltung. Gleichzeitig steht der Begriff natürlich dem üblichen Wohlstandsverständnis entgegen, das sich ja sehr auf materiellen Besitz und Konsum kapriziert. Dabei scheint mir auffallend, dass vieles von dem, was wir so konsumieren, uns durch Werbung geradezu aufgedrängt wird und letztlich dazu dient, die physischen und psychischen Zumutungen des Arbeitsalltags sowie den mit ihm verbunden Zeitmangel zu kompensieren. Demgegenüber wäre es aus ökologischer Sicht, aber auch um Raum für individuelle Entwicklung zu haben, angezeigt, darüber nachzudenken, ob es gesellschaftlich nicht sinnvoller wäre, dass alle Vollzeitbeschäftigen weniger arbeiten, um Zeit für sich und die Leute, die ihnen wichtig sind, für Ehrenamt und Politik usw. zu haben, anstatt in stumpfer Raserei irgendwelchen Schund zu kaufen, der dann nach sechs Monaten wieder kaputt ist.

Du wirst ja wahrscheinlich auch mit der Frage konfrontiert gewesen sein: Wer soll das bezahlen? Was ist Deine Antwort? Wie ließe sich Deiner Meinung nach eine radikale Arbeitszeitverkürzung finanzieren?

Oft scheint der Eindruck vorzuherrschen, Arbeitszeitverkürzungen seien eine Art Belohnung für besonders produktive Beschäftigte. Ein stückweit ist das auch richtig. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass Arbeitszeitverkürzungen produktivitätssteigernd wirken können. Durch eine Verknappung des Arbeitskräfteangebots verbessert sich die Verhandlungsposition der Lohnabhängigen und verteuert so auch den Faktor Arbeit – bei Arbeitszeitverkürzungen mit Lohnausgleich ohnehin. Im gewerkschaftlichen Kontext wird deswegen auch vereinzelt von Arbeitszeitverkürzungen als »Produktivitätspeitsche« gesprochen. Arbeitszeitverkürzungen zahlen also ein stückweit für sich selbst, weil sie die Produktivität zu heben helfen. Aber damit nicht genug: für Deutschland ist auffällig, dass sich die Reallöhne und die Arbeitsproduktivität in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik fast deckungsgleich entwickeln. Seit den 1980er Jahren kam es dann aber zu einer Entkoppelung. Die Produktivität stieg deutlich schneller, als die Reallöhne. Oder anders gesagt: die Beschäftigten wurden nicht mehr proportional an den Produktivitätsfortschritten beteiligt. Würde man diese Entkoppelung zurücknehmen, würde das reichen, um die Löhne um über 20% steigen zu lassen – ein gewisser Verteilungsspielraum ist also allemal vorhanden.

Auch ist ja auffällig, dass wir real bereits bei einer Arbeitswoche von durchschnittlich 30 Stunden pro Arbeitnehmer sind. Diese reale Arbeitszeitverkürzung fand allerdings nicht über kollektive Arbeitszeitverkürzungen, sondern über den Aufbau von Teilzeitbeschäftigung statt. Mit anderen Worten: wir haben bereits eine 30-Stunden-Woche, sie wird nur von den Lohnabhängigen selbst bezahlt. So zum Beispiel durch massenhaft drohende Altersarmut insbesondere von Frauen, die besonders häufig in Teilzeit arbeiten. Angesichts der mickrigen Beteiligung an den Früchten des technischen Fortschritts in den letzten Jahrzehnten wäre doch danach zu fragen, ob das wirklich das einzige und bestmögliche Arrangement ist.

1) Frey, Philipp: The Ecological Limits of Work: On carbon emissions, carbon budgets and working time, Autonomy, 2019. http://autonomy.work/wp-content/uploads/2019/05/The-Ecological-Limits-of-Work-final.pdf